Gemeinsam gestalten: Migration aus Afrika nach Europa

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) nimmt in seinem Jahresgutachten 2020 erstmals Afrika in den Blick. Die „Afrika-Gipfel“ der EU, die Investorenkonferenz „Compact with Africa“ der G20 oder die „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union zeigen, dass die weltpolitische Bedeutung dieses Kontinents zunimmt. Auch in der Migrationspolitik müssen Deutschland und Europa enger mit afrikanischen Staaten zusammenarbeiten. In seinem elften Jahresgutachten analysiert der SVR die Wanderungsbewegungen innerhalb Afrikas sowie aus Afrika nach Europa und Deutschland. Er beschreibt die Bedingungen und Folgen der Migration innerhalb und aus Afrika in andere Weltregionen sowie den Umgang der deutschen und europäischen Politik damit – und leitet daraus politische Empfehlungen ab, die über die aktuelle Corona-Krise hinaus gültig sind.

Berlin, 28. April 2020. Migration aus Afrika nach Europa? Dabei denken viele an jene verzweifelten Menschen, die von Nordafrika aus in Schlauchbooten in See stechen, um an der italienischen Küste zu landen. Tatsächlich ist das Wanderungsgeschehen in und aus Afrika mit seinen sehr unterschiedlichen Herkunfts-, Ziel- und Transitregionen deutlich vielfältiger. „Die meisten Medien berichten vor allem über Fluchtmigration. Daneben gibt es aber auch Arbeitsmigration, Migration von Studierenden und Hochqualifizierten, Heirats- und Familienmigration sowie zirkuläre Wanderungsbewegungen – innerhalb des afrikanischen Kontinents und, in geringerem Maße, auch interkontinental“, sagt Prof. Dr. Petra Bendel, die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Wenig beachtet ist außerdem die Tatsache, dass afrikanische Staaten auch Ziel internationaler Migration sind, und dass einige von ihnen zu den Ländern gehören, die weltweit am meisten Flüchtlinge aufnehmen. „Es fehlt uns in Deutschland und Europa an Wissen über das Wanderungsgeschehen in und aus Afrika. Aber nur auf Basis einer soliden Bestandsaufnahme ist es möglich, Migration gemeinsam zu gestalten. Hierzu will der SVR beitragen“, begründet Prof. Bendel den thematischen Fokus des diesjährigen Jahresgutachtens.

Die EU verwendet derzeit viel Geld und Mühe darauf, irreguläre Migration aus Afrika zu unterbinden. „Migrationspolitik ist aber mehr als Grenzkontrolle“, so die SVR-Vorsitzende. Der SVR unterstützt darum die Idee, dass Deutschland gemeinsam mit anderen europäischen Staaten innerhalb der EU aktiv nach neuen Formen der Kooperation mit afrikanischen Staaten sucht. „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 sollte hierfür genutzt werden. Die Bundesregierung sollte außerdem dafür Sorge tragen, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das jüngst in Kraft getreten ist, auch in afrikanischen Staaten Wirkung entfaltet. Ergänzend dazu sollte ein Weg für Menschen eröffnet werden, die keine akademische oder berufliche Qualifikation vorweisen können.“

Transnationale  Ausbildungspartnerschaften eröffnen

Die Bundesregierung sollte dafür Sorge tragen, dass das jüngst in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch in afrikanischen Staaten Wirkung entfaltet. Beispielsweise eröffnet das Gesetz grundsätzlich Interessierten die Möglichkeit, zu   Ausbildungszwecken nach Deutschland einzureisen. Dazu sollten kooperative  rojekte vor Ort gefördert und mit ausgewählten Herkunftsländern bilaterale Absprachen getroffen werden, etwa über transnationale   Ausbildungspartnerschaften. Ergänzend sollte ein Weg für jene eröffnet werden, die keine akademische oder berufliche  Qualifikation vorweisen können. Sie werden in diesem Gesetz bislang nicht berücksichtigt. Neuerdings werden  auch junge Menschen gesehen, die für eine berufliche Ausbildung nach Deutschland kommen und – sofern sie es wünschen – im nächsten Schritt als Fachkräfte im Arbeitsmarkt bleiben. Bislang sind solche Aufenthalte im Rahmen von Berufsbildungsexporten eine Ausnahme. Es ist  jedoch denkbar, dass die Marke ‚Training made in Germany‘ auch bei den Auszubildenden in afrikanischen Ländern eine Signalwirkung entfaltet.

Der SVR schlägt ein temporäres Arbeitsvisum gegen ‚Kaution‘ als neuen regulären Weg nach Europa vor.

Unter bestimmten Voraussetzungen sollten Migrantinnen und Migranten aus Afrika die Möglichkeit erhalten, bei dem europäischen Staat, den sie ansteuern, eine Art ‚Kaution‘ zu hinterlegen. Im Gegenzug können sie regulär einreisen und einen temporären Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit erhalten. Wenn sie anschließend fristgerecht ausreisen, erhalten sie dieses Geld wieder zurück. „Ein solches Visum würde es auch Arbeitnehmern ohne formale Qualifikation ermöglichen, kontrolliert einzureisen und könnte so irreguläre Migration reduzieren. Es wäre zugleich ein Instrument, um mit afrikanischen Staaten zu kooperieren“, sagt Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., SVR-Mitglied und Wirtschaftsexperte. „Mit den temporär befristeten, aber nicht zwangsläufig einmaligen Aufenthalten soll zugleich das Potenzial von Migration für die Entwicklung im Herkunftsland aktiviert und genutzt werden. Die Zugewanderten sollen nach Ablauf des Visums zurückkehren und ihre Ersparnisse und neu gewonnenen Kontakte nutzen, um im Heimatland eine Firma zu gründen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen oder in die Landwirtschaft zu investieren. Das kann Prozesse zirkulärer Migration initiieren, von denen alle Seiten profitieren, und so auch einen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit leisten.“

Flüchtlingsschutz: Finanzierung sichern, neue Modelle erproben, Resettlement ausweiten.

Einige afrikanische Länder wie Uganda, der Sudan und Äthiopien gehören zu den Staaten, die weltweit am meisten Flüchtlinge aufnehmen. Die humanitären Organisationen, die Flüchtlinge dort versorgen, haben aber schwerwiegende Finanzierungsprobleme. Die Europäische Union sollte daher die Mittel für die humanitäre Flüchtlingshilfe erhöhen, und die Mitgliedstaaten der EU sollten ihre Resettlement-Kontingente ausbauen. Angesichts der Lage in Transitländern wie Libyen und auf dem Mittelmeer plädiert der SVR dafür, neue staatliche Missionen zur Seenotrettung auf europäischer Ebene einzusetzen und zu koordinieren. In Libyen werden viele Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten derzeit in Haftanstalten verbracht. „Diese müssen geschlossen und ihre Insassen und Insassinnen evakuiert werden. Notfalls sollte hier eine ‚Koalition der Aufnahmewilligen‘ vorangehen und diese Menschen aufnehmen“, sagt die SVR-Vorsitzende Prof. Bendel. „Zugleich muss an einer dauerhaften Form der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU gearbeitet werden.“

Rückkehrpolitik kooperativer und nachhaltiger gestalten.

„Die Rückkehrpolitik ist ein notwendiger Bestandteil einer gemeinsam gestalteten Migrationspolitik“, sagt der Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Daniel Thym. „Die von der EU definierten legitimen Ziele, den Grenzschutz zu verbessern und Migration wirksam zu kontrollieren, lassen sich aber nur gemeinsam mit afrikani­schen Regierungen erreichen. Dass ausreisepflichtige Personen nicht in ihre Herkunftslän­der zurückgeführt werden können, liegt derzeit hauptsächlich an der mangelnden Kooperation der Herkunftsstaaten. Hier müssen Lösungen gefunden werden, die auch die legitimen Interessen dieser Staaten berücksichtigen. Im Gegenzug zu Rücknahmevereinbarungen mit afrikanischen Staaten kann befristete Erwerbsmigration nach Europa erleichtert werden, wie es das SVR-Modell für temporäre Arbeitsvisa vorsieht.“ Wie wirksam bestehende Programme zur freiwilligen Rückkehr in afrikanische Länder sind, diese Frage ist bislang noch zu wenig erforscht. Der SVR empfiehlt, diese Programme zu evaluieren und sie besser zu koordinieren. Für eine nachhaltige Rückkehr sollten die Erfahrungen der Betroffenen stärker berücksichtigt und die Reintegrationsprogramme langfristiger gestaltet werden.

Prognosen zukünftiger Migrationsbewegungen sind unsicher.

Zu einer nüchternen und realistischen Betrachtung gehört es, anzuerkennen, dass die demografische Entwicklung auf den beiden Kontinenten in unterschiedliche Richtungen geht: „In Europa stagniert die Bevölkerungszahl, und in einigen Ländern und Regionen geht sie sogar zurück, während sie in Afrika wächst“, sagt Prof. Bendel. „Der Blick auf die Demografie allein erlaubt aber noch keine Aussagen über künftige Migrationsbewegungen, denn es gibt keinen eindeutigen oder gar linearen Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Auswanderung. Prognosen eines baldigen ungebremsten Zuzugs aus Afrika nach Europa sind von den aktuellen Daten nicht gedeckt und wissenschaftlich nicht haltbar.“ Der SVR empfiehlt, unter der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein wissenschaftliches Netzwerk anzustoßen, das die Migrationsbewegungen in und aus Afrika untersucht. Es soll auf bereits vorhandenen Prognosetechniken und Forschungsergebnissen aufbauen und diese systematisieren.

Das SVR-Jahresgutachten „Gemeinsam gestalten. Migration aus Afrika nach Europa“ finden Sie hier.

OECD betont Notwendigkeit von Hilfen gegen die Covid-19-Pandemie

Aktuelle Statistiken zur Entwicklungszusammenarbeit

Vorläufige Zahlen für 2019 zeigen einen Anstieg der öffentlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (ODA), insbesondere für die ärmsten Länder. Angesichts der Covid-19-Pandemie prüfen die OECD und die 30 Mitgliedsländer des OECD-Entwicklungshilfeausschusses (DAC) derzeit, wie über Entwicklungszusammenarbeit den am stärksten gefährdeten Ländern bei der Bewältigung der Krise am besten geholfen werden kann.

Den vorläufigen Zahlen zufolge haben die 30 DAC-Mitglieder in 2019 insgesamt 152,8 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt – ein Anstieg von 1,4% gegenüber dem Vorjahr. Achtzehn von ihnen erhöhten ihre Ausgaben, darunter insbesondere Österreich, Finnland, Griechenland, Ungarn, Japan, Korea, Norwegen und Slowenien. Auch in der Schweiz erhöhten sich die Ausgaben leicht (+0,6%). Elf Länder reduzierten ihre Mittel, darunter Polen, Portugal und Schweden. Auch in Deutschland sanken die Ausgaben leicht (-1,4%).

Unter folgenden Links finden Sie die jüngsten Zahlen und Erläuterungen im Detail:

Unter diesem Link lesen Sie das gemeinsame Statement der Länder im OECD-Entwicklungshilfeausschuss zur Covid-19-Krise vom 9. April 2020.

Untenstehend finden Sie darüber hinaus ausführliche Informationen auf Englisch.

OECD and donor countries working to focus development efforts on Covid-19 crisis, building on a rise in official aid in 2019

(Paris, 16 April 2020) – The OECD and member countries that provide foreign aid are exploring how they can work to help the most vulnerable countries to weather the Covid-19 crisis, as new data showed a rise in Official Development Assistance (ODA) in 2019, particularly to the poorest countries.

ODA from members of the OECD’s Development Assistance Committee (DAC) totalled USD 152.8 billion in 2019, a rise of 1.4% in real terms from 2018, according to preliminary data collected from official development agencies. Bilateral ODA to Africa and least-developed countries rose by 1.3% and 2.6% respectively. Excluding aid spent on looking after refugees within donor countries – which was down 2% from 2018 – ODA rose by 1.7% in real terms.

“This increase in the global development effort is an important first step, particularly as we now have an additional duty to step up support to those countries facing the harshest impacts of all from the coronavirus crisis,” said OECD Secretary-General Angel Gurría. “The response of development providers in the weeks and months ahead will be a critical force in the global battle against Covid-19. ODA has proved to be recession-proof in the past, including during the 2008 financial crisis, and I am confident it can be again.”

Total ODA in 2019 was equivalent to 0.30% of DAC countries’ combined gross national income, down from 0.31% in 2018 and below a target ratio of 0.7% of ODA to GNI. Five DAC members – Denmark, Luxembourg, Norway, Sweden and the United Kingdom – met or exceeded the 0.7% target (the same five countries as in 2018.) Among non-DAC donors, which are not counted in the DAC total, Turkey provided ODA equivalent to 1.15% of its GNI.

ODA rose in 18 DAC countries, with the largest increases in Austria, Finland, Greece, Hungary, Japan, Korea, Norway and Slovenia.  It fell in 11 countries, most notably in Poland, Portugal and Sweden, in some cases because of lower spending on refugees. Net ODA has risen for the most part steadily in volume terms from just below USD 40 billion in 1960. Despite the 2008 crisis, ODA rose by 69% in real terms between 2000, when the Millennium Development Goals were agreed, and 2010, as donors committed to increases.

On April 9, the DAC issued a joint statement acknowledging the importance of ODA to help developing countries through the Covid-19 crisis, and saying members would “strive to protect” ODA budgets.

“It’s good news that ODA is increasing and that more of it is going to Africa and the poorest countries. We must build on this positive trend, because this global crisis demands strong global cooperation.  Least developed countries will be the hardest hit by COVID-19. DAC members are already using ODA to help them respond to the double hit of health and economic crises. We will need to keep doing so throughout 2020 and beyond,” said DAC Chair Susanna Moorehead.

DAC members are sharing what they are doing to help developing countries combat the health crisis and economic fallout of the pandemic, with some donor countries already announcing reallocation of ODA money to support basic living conditions, build emergency health facilities and provide liquidity to developing country banks.

Mr. Gurría, in a joint statement with Mr. Achim Steiner, UN Development Programme Administrator, called on the international community and DAC members to act urgently to support those most vulnerable in the face of the crisis, including by increasing and sustaining ODA commitments. Ms Moorehead and OECD Development Co-operation Director Jorge Moreira da Silva urged DAC members to stand by their ODA commitments in March, to target efforts to health systems and vulnerable people and to ensure optimal coordination of humanitarian and development aid. To help them, the OECD is tracking the spread of Covid-19 in the world’s most fragile and insecure places on its States of Fragility platform.

The OECD is also working to analyse debt relief and other financial mechanisms for developing countries, donor support for women who make up the majority of health and care workers, support for global public goods – including research for new medicines or vaccines – and on longer-term analysis and guidance to help developing countries mitigate social and economic impacts. All official direct Covid19-related support to ODA-eligible countries, whether to invest in health systems or to protect and rebuild livelihoods will count as ODA.

Defined since 1969 as “government aid that promotes and specifically targets the economic development and welfare of developing countries”, ODA makes up over two thirds of external finance for least-developed countries.  The OECD’s aid statistics track official flows from DAC donors. The OECD also monitors flows from some non-DAC providers and private foundations. Preliminary data each April is followed by final statistics at the end of each year with a detailed geographic and sectoral breakdown.

The 2019 total comprised USD 149.4 billion in the form of grants, loans to sovereign entities and contributions to multilateral institutions; USD 1.9 billion to development-oriented private sector instrument (PSI) vehicles, USD 1.4 billion in net loans and equities to private companies operating in ODA-eligible countries and USD 149 million of debt relief.  Bilateral sovereign loans increased by 5.7% in real terms from 2018, suggesting some donors may be providing more concessional lending to low-income countries.

As in 2018, the 2019 data is expressed on a “grant equivalent” basis, offering a more realistic comparison between grants and loans, which account for around 17% of gross bilateral ODA, and a fairer measure of donor effort. Until 2018, loans were expressed on a “cash basis”, meaning their full face value was included then repayments were subtracted as they came in. The grant-equivalent methodology means only the “grant portion” of the loan, i.e. the amount “given” by lending below market rates, counts as ODA.

Links to aid data and background information: